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EIN MORGEN MIT MERKURErlebnisbericht mit FotosDIENSTAG, 06.05.2003
Die Wetteraussichten für Mitteleuropa sind gar nicht schlecht, doch über der Mitte Deutschlands liegt ein ortsfestes Wolkenband, dass sich erst im Laufe des Mittwoch auflösen soll. Ärgerlicherweise gehört das Rheinland zu den betroffenen Gebieten. Bis spät am Abend ändert sich an den Prognosen nichts mehr, Ausweichziele werden nun aktuell. Da das Wolkenband sich - wenn überhaupt - tendenziell nach Süden bewegt, sollte man folglich Richtung Norden fahren. Gegen Mitternacht zeigt ein Blick nach oben, dass die Wolkendecke mittlerweile sehr dünn ist, es gibt kleine Lücken. Der Wecker wird auf halb sechs gestellt, vielleicht hält sich das Wetter ja nicht an die Vorhersage, und die Wolken verschwinden - wie bei der MoFi im Januar 2001.
MITTWOCH, 07.05.2003, 05.00 UHR
Schon eine halbe Stunde vor dem Wecksignal werde ich wach. Ich gucke zur Vorsicht zweimal hin: kein Wölkchen in der Morgendämmerung! Nachdem der Wecker auf halb sieben vorgestellt ist, kann beruhigt weiter geschlafen werden.
Die beiden Satellitenbilder zeigen deutlich den Auflösungsprozess des Wolkenbandes: Satellitenbilder (Infrarot, Ausschnitte) von NOAA 9 vom 07.05.2003, 03.28 und 05.09 MESZ.
Image courtesy to Dundee Satellite Receiving Station, Dundee University, Scotland. MITTWOCH, 07.05.2003, 07.05 UHR
Um kurz nach sieben treffe ich auf dem Alten Zoll ein, wo Mitglieder der Volkssternwarte Bonn bereits mit dem Aufbau der Geräte beschäftigt sind. Der Alte Zoll ist eine historische Befestigungsanlage über dem Rheinufer, die in die Parkanlagen des Hofgartens einbezogen ist. Wahrzeichen des Alten Zolls (Ortsmarke für GoogleEarth) sind 2 alte Kanonen. Von hier aus blickt man über den Rhein nach Osten auf den Stadtteil Beuel und die Kennedybrücke. Die Sonne kämpft noch etwas mit dem morgendlichen Dunst und dem Saharastaub, der momentan in der Atmospäre hängt und auf meinem Auto bereits eindrucksvolle Spuren hinterlassen hat.
Das Teleskop ist bald aufgebaut, doch die Projektion ist zunächst etwas improvisiert: ein Mitarbeiter hält die weiße Pappe fest, auf die das Bild geworfen wird. Was man als erstes sieht, ist ein großer Sonnenfleck ziemlich in der Mitte der Sonnenscheibe. Dank der vielen Fotos und Videos vom Merkurtransit wird er im Laufe des Tages zu einem der meistgesehenen Sonnenflecken aller Zeit werden. Am Rand gerade noch sichtbar sind Teile der riesigen Fleckengruppe, die vor einigen Tagen mit bloßem Auge zu beobachten war. Von Merkur ist noch keine Spur zu sehen, obwohl der erste Kontakt bereits erfolgt sein muss. MITTWOCH, 07.05.2003, 07.20 UHR
Merkur ist da! Einer der wenigen Interessierten, die sich bereits zu dieser frühen Morgenstunde hier eingefunden haben, sieht ihn zuerst. Der zweite Kontakt ist schon vorbei, das winzige Planetenscheibchen schwebt frei vor der Sonne - schon seltsam, dass er bis dahin niemandem aufgefallen war. Nun werden die ersten Fotos gemacht, während ein anderer Mitarbeiter der Volkssternwarte noch sein Gerät aufbaut, mit dem später dank entsprechender Lichtfilter ein direkter Blick auf die Sonne möglich sein wird. Es werden einige Erläuterungen gegeben; dann gilt es erst einmal, den Halter der Projektionsfläche von seiner Last zu befreien. Mit Pappe und Uhu wird ein Gestell am Teleskop montiert, das nachher die weiße Pappe halten soll. Das klappt nicht ganz so wie gedacht, auch nicht mit dem breiten Tesa-Krepp, das ich aus dem Auto hole. Die Konstruktion sackt unter ihrem eigenen Gewicht nach unten. dagegen hilft schließlich ein kurzes Stück Pappe, das auf das Okularstück gesetzt wird.
Nachdem die Projektionsfläche nun dauerhaft fixiert ist, werden weitere Fotos gemacht. Ich bin mit meinen Digitalbildern gar nicht zufrieden. Ein Mitbeobachter macht den Vorschlag, es mit der Makrofunktion zu versuchen. Hm, das geht wirklich besser, auch wenn das Resultat nachher nicht wirklich überzeugend ist. MITTWOCH, 07.05.2003, 08.00 UHR
Zu den Teilnehmern an dieser frühmorgendlichen Zusammenkunft gehört ein Vater, der mit seinen 2 Sprösslingen noch vor der Schule vorbeischaut. Kinder haben so ihre eigene Logik. Als sie hören, dass nächstes Jahr ein Venustransit ansteht, kommt sofort die Frage, ob denn jedes Jahr ein anderer Planet dran sei. Ein ältere Dame erzählt von der legendären Sonnenfinsternis 1954, an die sie sich noch gut erinnert.
Während einige Leute gehen, um vielleicht am Mittag noch einmal auf der Poppelsdorfer Allee vorbeizuschauen, stoßen andere dazu. Währenddessen wandert Merkur mit stoischer Ruhe immer weiter in die Sonne hinein. Um kurz vor halb neun verabschiede ich mich. Ich fahre nicht mehr nach Haus, sondern sofort zum Büro. Zum Frühstück hole ich mir bei der Bäckerei auf dem Bonner Talweg belegte Brötchen. Die Sonne scheint wie immer, nichts deutet darauf hin, dass sich da oben etwas sehr ungewöhnliches abspielt.
MITTWOCH, 07.05.2003, 09.00 UHR
Es wird ein Arbeitsfrühstück. Ich kopiere die Fotos vom Chip auf den Computer und nehme eine erste Sichtung vor. Einige Bilder sind so schlecht, dass ich sie gleich lösche, andere folgen im zweiten Durchgang. Da ich mit 5 Megapixeln Auflösung geknipst habe, sind die Bilddateien entsprechen groß. Nun ist in diesem Fall die Reduzierung der Datenmenge ohne Qualitätsverlust kein Problem. Die Bildausschnitte mit dem Merkurscheibchen werden einfach herausgeschnitten und unter neuem Namen abgespeichert. Aus 1,5 mb werden so 100 kb oder weniger. Einige der Bilder verschicke ich sofort per Email an die Volkssternwarte. Zwischendurch rufe ich meine Eltern an und weise sie auf die zweite Veranstaltung der Volkssternwarte nachher auf der Poppelsdorfer Allee hin.
Nach und nach wird es lebendig im Büro, die offizielle Dienstzeit beginnt. Als erste kommt Meike, der ich zwischendurch erkläre, was bei einem Merkurtransit so passiert. Nachdem noch eine Kleinigkeit wegen des Arbeitsplans abgeklärt ist, wechsele ich vom Bürocomputer an meinen eigenen Rechner. MITTWOCH, 07.05.2003, 10.30 UHR
Irgendwie vergeht die Zeit mal wieder viel zu schnell, wie immer, wenn ich mit Grafikprogrammen herumspiele. Ich werfe einen Blick in die Foren - da gibt es bislang nur wenige Postings, die Leute sind wohl noch alle draußen und beobachten, zeigt sich doch das Wetter in Mitteleuropa jetzt von seiner besten Seite; und das sollte auch bis zum Ende des Transit so bleiben.
Satellitenbilder (Falschfarben, Ausschnitte) von NOAA 17 bzw. 16 vom 07.05.2003, 11.50 und 13.23 MESZ.
Image courtesy to Dundee Satellite Receiving Station, Dundee University, Scotland.
Unser eigenes Forum ist von einem Schmierfink missbraucht worden; ich will diese Postings rasch löschen, habe aber dummerweise den Benutzernamen vor einiger Zeit geändert und prompt vergessen. Nach Rumprobieren versuche ich es mit Logik und habe dann auch sofort Erfolg.
So, jetzt aber endlich zu den Webcastings. Binnen einer halben Stunde klicke ich mich durch alle Übertragungen, die auf unserer Seite verlinkt sind. In die meisten komme ich sofort hinein, und sie liefern aktuelle Bilder von in der Regel guter Qualität, an manchen Orten - vor allem in Teilen Westeuropas - ist es bewölkt, sodass es gar keine oder nur vereinzelte Bilder gibt. Bei dem Schnelldurchgang fällt sehr auf, dass überwiegend fade Einheitskost serviert wird. Als positiv herausragend empfinden wir spontan 2 Angebote: auf der VdS-Seite werden die Webcaster bei der Arbeit und beim Frühstück gezeigt, die Seite der Royal Swedish Academy of Sciences beeindruckt durch die unglaubliche Qualität des Bildmaterials. Worüber ich mich ziemlich ärgere, ist das einzige Live-Streaming von Live!Universe. Eine Fehlermeldung erscheint, mein Quicktime sei nicht auf dem erforderlichen Stand. Nun hatte ich mir erst kürzlich, nämlich zur Übertragung eben dieser Gruppe von der SoFi am 04.12.2002 die neueste Version besorgt. Naja, dann eben nicht. MITTWOCH, 07.05.2003, 11.45 UHR
Vom Reisebüro in der Südstadt sind es über die Argelanderstraße keine 5 Minuten bis zur Poppelsdorfer Allee, auch kurz als "Pop-Allee" bezeichnet. Diese breite Allee aus der Barockzeit führt vom kurfürstlichen Hauptschloß (heute Universität) zum Lustschloß (heute ebenfalls Uni). Dort wo die Argelanderstraße einmündet, liegt die alte Sternwarte, von der aus eben dieser Friedrich Argelander seine berühmte Bonner Durchmusterung vorgenommen hat. Heute hat hier die Volkssternwarte Bonn ihren Sitz, deren Mitarbeiter ihre Geräte in den vergangenen Stunden auf dem Alten Zoll angebaut und auf der Pop-Allee (Ortsmarke für GoogleEarth) aufgebaut haben. Das Projektionsproblem ist jetzt klassisch mit einem Karton gelöst worden, der vor dem Okular montiert worden ist. Gegenüber des Okulars hat man ein untertassengroßes Loch in den Karton geschnitten und darüber ein Blatt Pergamentpapier gespannt. Der Clou dabei: schaut man von außen auf die Projektion, so erscheint durch die erneute Bildumkehr das Bild des Transits genau in der Orientierung, in der es auch oben am Himmel abläuft.
Schon beim Fotografieren wird klar, was sich später am Rechner bestätigt: die Qualität der Bilder ist bei dieser Projektionsmethode deutlich besser als heute Morgen.
Außer den Sternwarten-Mitarbeitern und mir ist noch ein weitere Teilnehmer vom Vormittag wieder dabei. Insgesamt etwa 15 Personen haben sich um das Teleskop versammelt, die recht rege diskutierend auf den 3. Kontakt warten. Zwischendurch werden SoFi-Brillen ausprobiert. Mit bloßem Auge ist wie erwartet von Merkur nichts zu sehen. Aber auch den großen Sonnenfleck erkenne ich nicht, obwohl mir mein Augenarzt gerade am Vortag eine Sehschärfe von 120% attestiert hat. Ob man den Venustransit im Juni 2004 wirklich ohne vergrößernde Optik wird sehen können?! Beruhigend: der Fleck hat vielleicht die 4- oder 5-fache Merkurfläche bedeckt, bei Venus wird es etwa die 20-fache Fläche sein.
MITTWOCH, 07.05.2003, 12.30 UHR
Der dritte Kontakt rückt unaufhaltsam näher, und natürlich kommt das Thema "Schwarzer Tropfen" auf. Da die Projektion ziemlich kleinflächig ist, kann man davon aber nichts erkennen. Gespannte Aufmerksamkeit herrscht, als Merkur binnen weniger Minuten nach dem 3. Kontakt die Sonnenscheibe verläasst.
Und dann ist er weg! Mit der Aufforderung sich im Jahr 2016 zum nächsten Merkurtransit, bei dem die Sonne dann am Nachmittag über dem Poppelsdorfer Schloss stehen wird, wiederzutreffen, geht man allmählich auseinander. Vorher erfahre ich noch, dass einer der Herren von der Volkssternwarte tatsächlich den Transit 1970 gesehen hat; 1973 soll das Wetter sehr schlecht gewesen sein.
MITTWOCH, 07.05.2003, NACHMITTAG/ABEND
Die Auswertung der neuen Fotos am PC bringt noch eine Überraschung: auf einem der Bilder, die vor dem 3. Kontakt mit der Makrofunktion gemacht wurden, ist der "Schwarze Tropfen" mehr als deutlich zu sehen! Offensichtlich habe ich genau im richtigen Moment auf den Auslöser gedrückt. Später entwickelt sich zu diesem Bild eine Diskussion im Polarlicht-Forum. Aufnahmen von SOHO und auch qualitativ hochwertige erdgebundene Bilder aus La Palma zeigen das Phänomen nicht. Offensichtlich, so ergibt sich aus den Forumsbeiträgen und aus einer Diskussion bei Astronomie.de, entsteht der Tropfeneffekt zumindest beim Merkur durch schlechtes Seeing, Kontrasteffekte, schwache Optiken oder eine Kombination von allem. Einen Erklärungsansatz, der auf ein Kontrastproblem hinweist, liefern die Fotos von La Palma. Dort ist rund um das pechschwarze Merkurscheibchen ein rötlicher Saum zu sehen (Beispielfoto). Da der Merkur keine Atmospäre besitzt, kann es sich nur um einen Artefakt handeln.
Die nachstehenden 4 Bildausschnitte (jeweils etwa um ein Drittel vergrößert) zeigen von links nach rechts die Entwicklung des Tropfen-Effektes bei der Beobachtung in der Poppelsdorfer Allee:
WAS BLEIBT
Auch wenn der Schwarze Tropfen nur ein Beobachtungsartefakt ist - es handelt sich um ein wissenschaftshistorisch bedeutsames Phänomen. Selbst von ihm überrascht und getäuscht zu werden, versetzt einen ein wenig in die Situation des historischen Beobachters. Was bleibt, ist das schwer zu beschreibende Gefühl, heute nicht nur einem sehr seltenem Ereignis beigewohnt, sondern auch etwas ganz besonderes erlebt zu haben.
MOVIE
Aus den Fotos von unserem Morgen mit Merkur haben wir ein Video im HD-Format zusammengestellt und dieses mit Musik unterlegt.
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